SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 13
Indonesien
Inselstaat im Umbruch
Interview von Gerhard Klas mit Robby Hartono
Kein Land in Südostasien wurde so hart von der Finanzkrise getroffen wie Indonesien. Auch wenn der seit den 60er Jahren amtierende Diktator Suharto Mitte des letzten Jahres wegen zahlreicher Proteste abdanken mußte – die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) wirken fort. Ihre Einhaltung ist obligatorisch – ansonsten dreht der IWF kurzerhand den Geldhahn zu. Die Folgen: seit 1997 sind fünf Millionen Arbeitsplätze weggefallen. Neue Sparmaßnahmen, etwa die Streichung der Subventionen für Grundnahrungsmittel, haben zu einem enormen Preisanstieg für Lebensmittel geführt. Mittlerweile lebt fast die Hälfte der 203 Millionen Bewohner des Inselstaats unter der offiziellen Armutsgrenze mit einem Einkommen von weniger als einem Dollar täglich. Hungerrevolten breiten sich aus. Eine führende Rolle bei den Protesten spielt die mittlerweile legalisierte Demokratische Volkspartei (PRD). Für die SoZ sprach Gerhard Klas mit Robby Hartono, dem internationalen Sprecher der PRD. Er war vom 13.März bis 5.Juni inhaftiert und wurde von Spezialisten des Militärs mit Elektroschocks gefoltert. Seine Peiniger legten ihm nahe, "besser zu beten oder Häuser anzuzünden, in denen Chinesen leben, anstatt sich für die politischen Ziele der PRD zu engangieren", erklärte er gegenüber der SoZ.Die Hungerrevolten scheinen sich an einem Scheideweg zu befinden: Immer öfter wird die chinesische Minderheit angegriffen und für die Zustände verantwortlich gemacht.
Robby Hartono: Das ist nicht so neu. Schon 1996, als die Finanzkrise die indonesische Wirtschaft erstmals ins Wanken brachte, randalierten einfache Leute in den chinesischen Vierteln der javanesischen Stadt Situbondo. Sie brannten ihre Geschäfte und Kirchen nieder.In Indonesien sind Chinesen die Sündenböcke. Das ist geschichtlich schon immer so gewesen. Chinesische Migranten wurden seit Beginn des Jahrhunderts zwischen den ärmsten Schichten und den Herrschenden angesiedelt. Suharto hat nach dem Militärputsch von 1965 dieser chinesischen Minderheit ökonomische Privilegien gegenüber der einfachen Bevölkerung Indonesiens eingeräumt. Suharto hatte sehr enge Beziehungen zu den besser gestellten Vertretern der chinesischen Minderheit. Daran hat sich bis heute nichts geändert.Die antichinesischen Ressentiments haben sich daher im Bewußtsein und Empfinden der indonesischen Bevölkerung festgesetzt.
Die PRD kann dem nur schwer etwas entgegensetzen, denn tatsächlich dominieren die Chinesen das wirtschaftliche Leben. Vor allem auf Java gibt es sehr viele gut laufende chinesische Läden. Ein unerreichbarer Lebenstraum für viele der einfachen Indonesier. Sie analysieren nicht was dahinter steckt.Ist es nicht offensichtlich, daß der Suharto-Clan und sein Nachfolger Habibi über wesentlich mehr Vermögen und Besitz als die chinesische Minderheit verfügen?Habibi und Suharto sind für die Protestierenden unerreichbar.Im Gegensatz zu den Chinesen sind sie offizielle Staatsmänner, die vom Militär geschützt werden.Wir versuchen über unsere Flugblätter und Zeitungen die Leute aufzuklären. Wir erklären, daß die chinesische Minderheit nicht die Ursache für die aktuelle Krise in Indonesien ist und dies auch nicht für die Unterdrückung unter Suharto war. Wir weisen darauf hin, daß die Gewalt gegen die chinesische Minderheit sinnlos ist. Auch diejenigen, die heute gegen Chinesen auf die Straße gehen werden registrieren, daß dies nicht ihre Probleme lösen wird. Gleichzeitig versucht die PRD natürlich, das Regime in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen.Außerhalb der Großstädte sind die meisten Chinesen arme Farmer. Sie sind nicht Ziel von rassistischen Attacken.Bei Ausschreitungen im Mai gab es zudem einige bemerkenswerte Situationen in einigen Stadtteilen Jakartas. Vor allem Angehörige der armen indonesischen Stadtbevölkerung stellten sich schützend vor chinesische Frauen, die organisierte Gruppen vergewaltigen wollten. Die Frauen konnten fliehen, weil sie von den Menschen aus den Slums geschützt wurden.
Für die PRD gibt es einige Anhaltspunkte, die auf organisierte Aktionen des Militärs oder ihm nahestehender Gruppen hinweisen. Oft beginnen die Pogrome an verschiedenen Orten in Jakarta, alle zur selben Zeit. Die Provokateure stammen meistens nicht aus den Stadtteilen, sondern tauchen, meistens mit Bussen, in der Nähe von chinesischen Quartieren und Geschäftsstraßen auf. Wenn sie aussteigen, beginnen sie umgehend, die Bevölkerung gezielt aufzuhetzen. Sie fordern regelrecht zur Vergewaltigung auf und bringen die Leute dazu, chinesische Geschäfte anzuzünden. Die Krawalle haben weniger einen spontanen, sondern vielmehr einen organisierten Charakter.Die antichinesischen Pogrome haben auch einen religiösen Aspekt. Wie weit haben die moslemischen Fundamentalisten ihren Einfluß in der letzten Zeit ausbauen können? Inwiefern sind sie Bestandteil einer Regierungspolitik, die nach national-chauvinistischen Lösungen sucht?Diese Verbindung besteht und ist in der Tat eine äußerst gefährliche Entwicklung. Traditionell unterscheidet sich der Islam in Indonesien jedoch von dem in anderen Ländern. Diese Religion hat in Indonesien weniger einen ideologischen, sondern vielmehr einen kulturellen Charakter. Islamischer Fundamentalismus findet seit jeher wenig Unterstützung bei der Bevölkerung. Er hat zwar eine Rolle in den Unabhängigkeitskämpfen Indonesiens gespielt, war aber mehr oder weniger mit progressiven Strömungen verbunden.Die fundamentalistischen Gruppen werden heute von der Regierung benutzt, um religiöse und ethnische Konflikte anzuheizen. Im allgemeinen handelt es sich dabei jedoch um kleine Gruppen, die ansonsten wenig Einfluß haben.Gibt es in der chinesischen Gemeinde Organisationen, mit denen die PRD zusammenarbeitet oder in Verbindung steht?Auch in unseren Reihen befinden sich einige "chinesische Indonesier". Der Mob glaubt, die Chinesen würden sich nur für sich selbst interessieren und ihnen wäre das Leid der anderen gleichgültig. Wir stellen dagegen bewußt heraus, daß uns die eingewanderten Chinesen im Kampf gegen den Kolonialismus unterstützt und gegen die Invasion der Japaner gekämpft haben und auch heute am Kampf für mehr Demokratie beteiligt sind.
Wer sind die politischen Verbündeten der PRD?Wir gehen möglichst breite Allianzen mit demokratischen Organisationen und Parteien, aber auch mit islamischen Kräften ein. Die meisten islamischen Gruppen vertreten einen säkularisierten Ansatz. Radikale Fundamentalisten sind gegen unsere Politik, und wir haben auch kein Interesse, mit ihnen zusammen zu arbeiten.Die PRD arbeitet mit den zahlreich entstandenen neuen Parteien nur dann zusammen, wenn wir eine gemeinsame politische Plattform haben. Dazu gehören islamische Gruppen, aber auch die PDI der Tochter des indonesischen Staatsgründers Sukarno, Megawati Sukarnoputri. Wichtigste Vorraussetzung für eine gemeinsame Arbeit ist die Ablehnung des Militarismus.Wie steht es mit der Rolle des IWF, wird sie ebenfalls durchgängig abgelehnt?Innerhalb dieser Plattformen gibt es unterschiedliche Level der Zusammenarbeit. Die Ablehnung der IWF-Politik teilen nur wenige. Wenn sie jedoch vorhanden ist, spiegelt sie eine höhere Qualität der Zusammenarbeit wider. Im Bereich des Antimilitarismus gibt es mehr Übereinstimmung. Ein gutes Beispiel ist Megawati. Sie betont unablässig, daß sie mit der Politik des IWF einverstanden ist, wie die meisten anderen demokratischen Kräfte auch. Deshalb kann das Verhältnis der PRD zu diesen Organisationen nur rein taktischer Art sein.Die verschiedenen Organisationen in der Plattform haben auch eine unterschiedliche Definition dessen, was sie Demokratie nennen – aktuell eine der bedeutensten Forderungen. Was meinen die Organisationen, wenn sie Demokratie fordern?Megawati versteht unter Demokratie etwas anderes als die PRD.
Die unmittelbaren Forderungen der PRD sind erstens die Beendigung der politischen Einflußnahme durch die Militärs, denn sie sind der Hauptfeind der Demokratie. Zweitens die Einrichtung von Volksräten, auf deren Grundlage die Übergangsregierung formiert werden muß. Drittens die Vergesellschaftung des nationalen Besitzes, der sich noch immer unter Kontrolle des Suharto-Clans befindet. Und natürlich die Freilassung der politischen Gefangenen. Das würde den Weg zur Demokratie in Indonesien ebnen. Das wäre der Beginn einer demokratischen Revolution, der weitere Forderungen folgen würden.Unter der Parole "totale Reformen" sind die oben genannten Forderungen zusammengefaßt. Sie gehen über den Lobbyismus und die Demokratieforderungen von Megawati weit hinaus. Die kommenden Parlamentswahlen, der Sturz Suhartos und die schon jetzt vorhandenen Freiräume stellen Megawati hingegen schon weitgehend zufrieden.
Die PRD und andere versuchen, Volksräte aufzubauen und den Schritt in eine Übergangsgesellschaft zu vollziehen. Die aktuelle Situation läßt uns dafür auch Spielraum, den wir nutzen und ausweiten wollen. Das geht Leuten wie Megawati zu weit.Auch in Fragen des Umgangs mit dem Militär unterscheiden sich die Positionen. Wir wollen, daß die "duale Funktion" des Militärs, d.h. ihr formal festgeschriebener Einfluß auf die Politik, umgehend aufgehoben wird. Hingegen haben sich Megawati und der Moslemführer Amien Rais auf einem Ende letzten Jahres stattgefundenen Treffen darauf geeinigt, diesen Zustand erst in sechs Jahren herstellen zu wollen.Könnten die Besitztümer des Suharto-Clans ausreichen, um die aktuelle Finanzkrise zu bewältigen? Welche Rolle spielen die Strukturanpassungsprogramme des IWF?Die Übernahme des Suharto-Besitzes wäre lediglich eine Teillösung. Auch der IWF mit seinen Strukturanpassungsprogrammen ist Teil des Problems und der Krise. Das weiß auch die Bevölkerung Indonesiens. Von den IWF-Krediten über 43 Milliarden Dollar haben sie nie etwas gesehen. Während viele von ihnen in bitterer Armut leben wird ihnen gleichzeitig erklärt, daß sie für die Schulden, die die Regierung gemacht hat, mit aufkommen müßten. Nur einige Moslem-Führer glauben, mit neuen Krediten des IWF sei die Krise zu überwinden.
Die PRD wird von westlichen Medien als Studentenorganisation bezeichnet. Gibt es auch Kontakte zu Gewerkschaftern und Landbevölkerung?Der Eindruck täuscht, aber das Selbstverständnis der PRD ist ein anderes. Zwar sind die meisten Mitglieder, auch in der Führungsebene, relativ jung. Aber wir sind eine Partei, die in vielen Sektoren der Gesellschaft involviert ist.Verglichen mit Muchtar Pakpahan und seiner unabhängigen "Gewerkschaft für Wohlstand" (SBSI) – welche Gewerkschaftspolitik betreibt die PRD?Wir sehen die Relation zwischen Arbeit und Politik anders als die SBSI. In unseren Reihen, der Gewerkschaft PPBI, versuchen wir, Forderungen nach Lohnerhöhungen mit politischen Forderungen zu verknüpfen und in Aktionen einzubinden. Das ist nicht die Intention der SBSI. Sie haben keine Vorstellung davon, daß Arbeiter die Möglichkeit haben, ihre Lebensbedingungen auch durch politische Forderungen zu verbessern. Die SBSI beschränkt sich auf die Forderung nach höheren Löhnen. Wir halten das für nutzlos, denn immer, wenn Löhne erhöht werden, steigen in Indonesien auch die Preise für Konsumgüter.Unabhängige Tarifverhandlungen gibt es nicht – die Militärs mischen und bestimmen mit. Deshalb wollen wir vermitteln, daß eine politische Vertretung notwendig und unumgänglich ist und lehnen die Intervention seitens der Militärs kategorisch ab. Die PPBI unter der Leitung von Ditasari und Pakpahans SBSI sind zur Zeit die bedeutendsten Gewerkschaften in Indonesien.Viele der im Zuge der Finanzkrise erwerbslos gewordenen Bewohner der Slums in den Großstädten sind aufs Land zurückgekehrt. Hat die PRD auch dort eine Basis, oder beschränken sich ihre Aktivitäten auf die städtischen Großräume?
Die PRD arbeitet mit einer nationalen Bauernorganisation zusammen. Sie organisiert die Bauern und führt Landbesetzungen durch. Nachdem die Krise um sich griff und Massenentlassungen an der Tagesordnung waren, gingen viele der Arbeiter, die ursprünglich aus ländlichen Regionen kamen, in ihre alten Dörfer zurück. Dort spitzte sich die wirtschaftliche Situation in Folge der Wanderungsbewegungen dann ebenfalls zu.Angesichts der Krise haben sie Land besetzt, das entweder dem Suharto-Clan gehört oder unter öffentlicher Verwaltung steht. Das ist niemals zuvor passiert und stellt eine enorme Radikalisierung dar. Polizei und Militär stehen hilflos daneben und bleiben passiv. Das liegt vor allem daran, das sich viele Menschen an den zahlreichen Landbesetzungen beteiligen. Allerdings stellen sie keine Forderungen nach einer strukturierteren Landreform auf, sie besetzen einfach und bauen Nutzpflanzen an.Gleichzeitig gibt es auch in den Dörfern Demonstrationen gegen die von Suharto einberufenen Bürgermeister. Aus Java sind Fälle bekannt, in denen diese Bürgermeister aus den Dörfern geflohen sind und beim Militär um Schutz gebeten haben.Leider passiert all dies sehr sporadisch und unorganisiert. Deshalb versucht die PRD, auch in den ländlichen Regionen die Idee der Volksräte zu popularisieren. In Süd-Sumatra gibt es mittlerweile Bauernräte. Sie haben zum Teil die Gebäude der Lokalverwaltung für mehrere Wochen besetzt und forderten ebenfalls Wahlen für eine Übergangsregierung sowie die Enteignung und einen Gerichtsprozeß für Suharto.Das geschieht auch in den Großstädten. Wie häufig finden solche Besetzungen statt?Im letzten halben Jahr ist das eine beliebte Aktionsform geworden.
Begonnen hat es mit der Forderung nach einem Rücktritt Suhartos, dann gegen die politischen Kompetenzen der Militärs und später gegen die Ergebnisse der ersten "beratenden Volksversammlung" des neuen Präsidenten Habibi. Der erste Erfolg war der Rücktritt Suhartos. Das inspirierte die Bevölkerung, die Besetzungen nunmehr als effektives Mittel ansah, um politische Forderungen durchzusetzen. Im vergangenen November besetzten Tausende den Flughafen von Sumatra. In einigen Provinzstädten wurden Radiostationen besetzt und die Forderungen über den Äther ausgestrahlt. Eine der spektakulärsten Aktionen war die Besetzung des Parlamentsgebäudes in der Großstadt Surabaya. In dieser Hinsicht besteht durchaus eine Aktionseinheit, die sich in gemeinsamen Forderungen der Besetzer widerspiegelt.
Wie wird sich die PRD zu den kommenden Wahlen im Juli verhalten?Wir werden uns an den Wahlen beteiligen. Weniger, weil wir uns viel von der Machtpolitik innerhalb der bürgerlichen Demokratie versprechen, sondern weil wir die Möglichkeiten der Propaganda in einem Wahlkampf und später vielleicht im Parlament nutzen wollen. Außerdem beabsichtigen wir, langsam aber sicher den Sozialismus auf die politische Agenda zu setzen. Die Frage ist noch offen, ob das mit einer Kandidatur zu den Wahlen zu verbinden ist. In dem Maße, wie das politische Bewußtsein der Bevölkerung wächst, werden wir verstärkt mit sozialistischen Forderungen nach außen treten.
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